Jetzt stehen die großen Veränderungen an: Zusammenarbeit mit Unternehmen am Öko-Institut

Prof. Dr. Rainer Grießhammer

Im ersten Teil unseres Interviews berichtete Prof. Dr. Rainer Grießhammer über die Anfänge der Kooperation mit Unternehmen. Wir haben weiter mit ihm über den „Grünen Fernseher“, die Herausforderungen der Transformation und ob man Unternehmen zum „Erfolg quälen“ muss, gesprochen.

Wie ging es nach der Hoechst-Studie weiter mit der Unternehmensarbeit am Öko-Institut?

Eigentlich sehr organisch. Die nächste große Studie schloss an die gewonnenen Erkenntnisse an und analysierte für die fünf großen europäischen Hersteller von Fernsehgeräten, wie diese mit weniger Schadstoffen gebaut, deutlich energieeffizienter genutzt und besser recycelt werden könnten. Die Studie „Grüner Fernseher“ war unser Einstieg in den Elektronikbereich. Und zum ersten Mal wurden damit die Probleme der Elektronikprodukte bei den Umweltauswirkungen und bei den Schadstoffen systematisch beschrieben und die Rolle des Recyclings der wertvollen Bauteile hervorgehoben.

Aber nicht alle unsere Erkenntnisse in dieser Studie konnten erfolgreich verwertet werden. So haben wir damals schon prognostiziert, dass Flachbildschirme die wichtigste technische Entwicklung in Sachen Energieeffizienz sein würden. Etwas was uns die Hersteller damals nicht glauben wollten, was aber dann sehr schnell, innerhalb der kommenden fünf Jahre, so gekommen ist. Das Ignorieren dieser Entwicklung hat sich dann für einige Hersteller sehr nachteilig ausgewirkt.

Von der Chemie über die Elektronik – in welchen Feldern hat das Öko-Institut weiter gearbeitet?

Seit Ende der 1990er Jahre bis heute haben wir mit Unternehmen aus nahezu allen Branchen kooperiert – mit großen Rohstoffkonzernen wie Umicore, Handelsunternehmen wie Edeka, mit Banken, Automobilherstellern, Telekommunikationsfirmen und anderen mehr. Wir können heute auf ein breites Wissen bauen und werden als verlässliche Berater wahrgenommen. Dazu kommt, dass wir eine Reihe von Projekten mit Industrieverbänden umgesetzt haben – mit dem Hausgeräte- und dem Chemieverband oder auch den Kunststoffverbänden, sowohl in Deutschland als auch europaweit. Dabei ging es dann darum, Branchenlösungen vorzuschlagen und zu entwickeln.

Aber wir haben Projekte nicht nur im Auftrag von Unternehmen, sondern auch über Unternehmen gemacht. Etwa bei der Ökodesignrichtlinie, wo wir an der Entwicklung von Kriterien im Auftrag der Europäischen Kommission mitgearbeitet haben. Oder bei der EU-Richtlinie zur Beschränkung von gefährlichen Stoffen in Elektro- und Elektronikgeräten (RoHS), bei der wir die Ausnahmeanträge von Unternehmen bewerten. Und wir haben natürlich auch Unternehmen weiterhin für ihre nicht-nachhaltige oder sogar gefährliche Produktion und Arbeitsweisen kritisiert – etwa die großen Energieversorger, die Betreiber von Atomkraftwerken oder die Agrogentechnikfirmen. Und zugleich Vorschläge gemacht für eine schärfere Regulierung, beispielsweise beim Chemikaliengesetz, die manchen Unternehmen überhaupt nicht gefallen haben.

Und welche Rolle hat das Öko-Institut in den Projekten für die Unternehmen?

Zunächst sicherlich eine Radarfunktion. Wenn wir gesagt haben, dass bestimmte Entwicklungen für kommenden fünf bis zehn Jahre absehbar sind, dann war es meist sehr wahrscheinlich, dass es in diese Richtung geht. Darüber hinaus wussten die Unternehmen, die mit uns zusammenarbeiten wollten, dass wir eine breite Verankerung in der Gesellschaft haben. Wir machen viele öffentliche Projekte – sei es für Ministerien, Behörden oder die EU-Kommission – und wir haben viele Verbraucherprojekte, solche mit Parteien, Gewerkschaften und Städten gemacht. Unternehmen nehmen uns deshalb auch als eine Art „ideeller Gesamtakteur“ wahr, als jemand, der weiß, was die Anspruchsgruppen wollen. Und nicht zuletzt wissen die Unternehmen auch, dass wir eine umfassende wissenschaftlich-fachliche Expertise und Erfahrung mitbringen, die wir in Ökobilanzen, Nachhaltigkeits- und Technikanalysen umsetzen.

Welche Grenzen gab es in der Zusammenarbeit?

Eine Manko war, dass uns meist die Umweltabteilungen der Unternehmen beauftragt haben und nicht die Strategieabteilungen oder der Vorstand. Das bedeutet, dass die Umwelt- und Nachhaltigkeitsprojekte sich meist nur auf einzelne Produkte oder Aktivitäten bezogen, aber häufig keine Auswirkungen auf das Kerngeschäft hatten – mit positiven Ausnahmen wie beim Hoechst-Projekt oder dem letzten Telekom-Projekt. So blieben unsere Vorschläge manchmal liegen und wurden nicht umgesetzt. Auf der anderen Seite hat unsere Arbeit auch immer Zeichen gesetzt, etwa als im Verlauf unserer Dialogserie Novartis aus der Agro-Gentechnikproduktion ausgestiegen ist, bzw. diese aus dem Kernkonzern ausgelagert hat. Das war schon ein deutliches Signal in die Branche, dass diese Technologie nicht zukunftsträchtig verfolgt wird.

Ein anderer Streitpunkt war in Einzelfällen auch die Kommunikation der Ergebnisse. Deshalb haben wir in unseren Verträgen festgelegt, dass wir grundsätzlich die Ergebnisse vollumfänglich veröffentlichen können und dass Werbung mit unseren Studienaussagen stets mit uns abgestimmt werden muss. Und obwohl wir immer sehr aufgepasst haben, gab es doch einen Fall, wo ein Unternehmen dann doch bei der mündlichen Darstellung von Zahlen und Fakten getrickst hat – auch um politisch in seinem Sinne zu argumentieren.

Zum Abschluss noch die Frage: Was wünschst Du Dir für die Zukunft von Unternehmen?

Die Herausforderung für die Unternehmen ist, dass jetzt die wirklich großen Transformationen und Strukturwandel anstehen – bei der Energiewende, im Verkehr, bei der Ernährung und Landwirtschaft, aber ganz massiv durch die Digitalisierung. Zugleich gibt es extrem schnelle Produktentwicklungszyklen und weltwirtschaftliche Veränderungen wie beispielsweise die Vorgabe der chinesischen Regierung, dass ab 2018 ein Drittel der verkauften Autos Elektroautos sein müssen. Ich wünsche mir, dass Unternehmen früher reagieren, sich anpassen und sich stärker an den  gesellschaftlichen Zielen orientieren. Nicht zuletzt um ihre Wettbewerbsfähigkeit in der Zukunft zu erhalten.

Den ersten Teil des Interviews zu den Anfängen der Zusammenarbeit mit Unternehmen am Öko-Institut lesen Sie hier im Blog.

Prof. Dr. Rainer Grießhammer ist Chemiker, Nachhaltigkeitsexperte und Mitglied der Geschäftsführung am Öko-Institut. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, wie zum Beispiel den Öko-Knigge, der mehr als eine Viertel Million Mal verkauft wurde.
Grießhammer forscht und lehrt zudem als Honorarprofessor für Nachhaltige Produkte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.
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