Feindbilder überwinden: Zusammenarbeit mit Unternehmen am Öko-Institut

Prof. Dr. Rainer Grießhammer

Streiten, kritisch bleiben und dennoch konstruktive Lösungen für mehr Nachhaltigkeit entwickeln. Das Öko-Institut blickt auf lange Jahre der Kooperation mit Unternehmen zurück. Prof. Dr. Rainer Grießhammer berichtet im ersten Teil des Interviews vom Start der Zusammenarbeit mit Unternehmen, die ausgerechnet mit der Chemieindustrie begann, der Branche, die das Öko-Institut seit seiner Gründung am heftigsten kritisiert hatte.

Das Öko-Institut feiert 2017 sein 40. Jubiläum; die Zusammenarbeit mit Unternehmen ist noch nicht ganz so alt. Seit wann berät das Öko-Institut Unternehmen für eine nachhaltige Entwicklung?

In seinen Anfangsjahren lag das Öko-Institut meist im Streit mit Unternehmen – über gefährliche Chemikalien wie das Holzschutzmittel Pentachlorphenol oder die ozonschichtzerstörenden FCKW, über die Sicherheit von Chemieanlagen oder über die Sinnhaftigkeit von  Müllverbrennung ohne engagierte Müllvermeidung. Wir haben immer darauf gedrungen, besser Standards einzuhalten und gefährliche Stoffe durch weniger giftige zu ersetzen.

Die ersten Kooperationen gab es Anfang der 1990er Jahre beim Thema Ökobilanzen. Hier sind Unternehmen auf uns zugekommen, die wissen wollten, wie einzelne Produkte oder Produktkonzepte in der Ökobilanz abschneiden. Unternehmen, wie etwa Waschmittel- oder Hausgerätehersteller, sind dabei davon ausgegangen, dass ihre Produkte gut und umweltverträglich sind und wollten dafür eine Bestätigung vom Öko-Institut bekommen. Das hat mal für sie funktioniert, mal auch nicht.

Wir haben dann über die Ökobilanz hinaus auch erste Nachhaltigkeitsanalysen gemacht, wie etwa in der vielbeachteten „Produktlinienanalyse Waschen und Waschmittel“. Die Studie war dabei richtungsweisend, hat sie doch zentrale Empfehlungen formuliert, die dann auch wirklich umgesetzt worden sind. So wurden Vollwaschmittel durch Kompaktwaschmittel ersetzt, niedrigere Waschtemperaturen und bessere Befüllung der Trommel und richtige Dosierung empfohlen und die Hersteller haben energiesparende Waschmaschinen gebaut, die mit niedrigeren Waschtemperaturen genauso gut gereinigt haben. Eigentlich wurden alle unsere Empfehlungen in den nächsten zehn Jahren umgesetzt – das war schon ein voller Erfolg.

Ab wann kann man von einer breiteren Nachhaltigkeitsberatung sprechen?

Eigentlich hat das Öko-Institut mit dem Buch „Produktlinienanalyse – Bedürfnisse, Produkte und ihre Folgen“ bereits 1987 die integrierte ökologische, ökonomische und soziale Bewertung von Produkten und der ganzen Produktlinie vorgeschlagen – fünf Jahre vor der Riokonferenz! Dann vergingen noch ein paar Jahre, bis diese Erkenntnisse und die des Weltgipfels bei den Unternehmen angekommen waren. 1996 gab es dann ein großes Projekt mit der Hoechst AG, bei dem zwei Produkte des Unternehmens auf Ihre Nachhaltigkeit analysiert wurde und Empfehlungen für das Nachhaltigkeitsmanagement gegeben wurden. In den Jahren zuvor hatte das Öko-Institut aber bereits eine lange Dialogserie mit Novartis durchgeführt, dem wichtigsten Chemieunternehmen in der Schweiz. Dabei ging es um Sicherheit und Perspektiven in der Chemikalienproduktion – ein Thema, bei dem die Basler Chemieindustrie aufgrund des Sandoz-Unfalls schon wesentlich alarmierter und auch weiter als ihre Konkurrenten in Deutschland war. Knifflig wurde es dann, als Novartis in die Agro-Gentechnik eingestiegen ist. Schlussendlich reagierte Novartis auf unsere Bedenken, aber mit einem faulen Kompromiss:  Novartis zog sich zwar aus der Agrogentechnik zurück, gliederte die Produktion aber in ein neues Unternehmen – nämlich Syngenta – aus.

Wie kam es dazu, dass das Öko-Institut ausgerechnet mit Hoechst die Nachhaltigkeit üben wollte?

Es war für viele – auch im Institut – durchaus überraschend, dass wir mit dem Unternehmen, mit dem wir über lange Jahre die meisten Auseinandersetzungen hatten, jetzt zusammen arbeiten wollten. Wir hatten zuvor heftige Auseinandersetzungen über ihre FCKW-Produktion, eine geplante Sondermüllanlage und auch wegen Gentechnik in der Landwirtschaft und diverser Störfälle. Den Ausschlag für einen Kurswechsel bei Hoechst selbst war ein Wechsel im Vorstand, bei dem die Nachkriegsgeneration abgelöst wurde durch jüngere Vorstände. So hat Jürgen Dormann, der damalige Vorstandsvorsitzende, zum einen verstanden, dass man nach der Vielzahl an Störfällen im Unternehmen einiges ändern muss und zum anderen wollte er auch die Ergebnisse der Rio-Konferenz für Hoechst umsetzen.

Wie kam der erste Kontakt mit Hoechst zustande?

Interessanterweise haben die von Hoechst angesprochenen klassischen Consultingfirmen nichts machen wollen und das Öko-Institut empfohlen, da sie damals noch nichts mit Rio, Nachhaltigkeit und Co. anfangen konnten. Als nächsten Schritt reiste Jürgen Dormann zu einer Vorstandssitzung des Öko-Institut an, die damals auf einem abgelegenen Veranstaltungsort im Neckartal stattfand. Beziehungsweise rückte sein Sicherheitsstab als erstes an, um zu prüfen, ob die Ökos kein Attentat auf den Vorstandsvorsitzenden von Hoechst verüben wollten. Dort wurde besprochen, wie das Projekt insgesamt aussehen soll und welche der Geschäftsbereiche bei Hoechst als Projektbeispiele dienen könnten – auch für Dormann keine einfache Sache, weil viele im Konzern nicht mitmachen wollten.

Wie seid ihr der Skepsis gegenüber diesem Projekt begegnet?

Die geplante Zusammenarbeit wurde von beiden Seiten argwöhnisch beäugt: Sowohl intern am Öko-Institut und bei den Bürgerinitiativen auf der einen Seite als auch bei Hoechst und den Gewerkschaften und vielen Hoechst-Mitarbeitern und einzelnen Geschäftsbereichen auf der anderen Seite. „Wie könnt Ihr nur…“ mussten sich alle am Projekt Beteiligten anhören. Am Öko-Institut haben wir daraufhin neben der Projektgruppe eine Kontrollgruppe eingerichtet, die wachsam die erarbeiteten Ergebnisse prüfen sollte. Vertraglich haben wir explizit schriftlich vereinbart, dass wir Hoechst bei Störfällen auch weiter wie bisher kritisieren würden. Was ja dann auch ein, zwei Mal so passiert ist – weil es leider weitere Störfälle in der Chemiefabrik gab.

Hatte das Projekt Erfolg und wie würdest Du ihn rückblickend bewerten?

Hoechst selbst empfand das Projekt offensichtlich als sehr gewinnbringend. Der Grund war, dass die Studie deutlich über eine reine Umweltbilanz hinaus ging und im Sinne der Nachhaltigkeit auch Nutzeransprüche, soziale und kulturelle Bedingungen der einzelnen Abnehmerländer ihrer Produkte berücksichtigt hatte. Bei Hoechst haben sie erkannt, dass ihre Produkte selbst besser werden können, wenn sie in Richtung Nachhaltigkeit entwickelt werden.

Ein Beispiel: Hoechst produzierte PET-Planen für Flachdächer, die sie vor allem nach China verkaufen wollten. Ein Markterfolg schien sich jedoch nicht einzustellen. Wir haben dann durch Gespräche mit Chinesen vor Ort herausgefunden, dass solche Gebäude meist von der Dorfgemeinschaft gebaut wurden und eben nicht von professionellen Baufirmen. PET-Planen können aber wegen des speziellen Verlege-Knowhows nur von letzteren gut verlegt werden. Die Empfehlung im Projekt war daraufhin, Weiterbildungen für die Dorfgemeinschaften anzubieten, damit diese selbst das Knowhow haben, um PET- Planen installieren können. Solche Aspekte sind auch Teil einer Nachhaltigkeitsbewertung, also nicht erst zum Schluss zu schauen, ist etwas nachhaltig, sondern bereits bei der Produktentwicklung die richtigen Weichen zu stellen.

Was hat das Öko-Institut aus dem Hoechst-Projekt gelernt?

Für uns bot das Projekt ganz klar die Möglichkeit, die unternehmensinternen Prozesse und Entwicklungen besser zu verstehen. Und wir hatten die Gelegenheit, das Konzept Nachhaltigkeit in Unternehmen zu entwerfen und sehr anwendungsorientiert durchzudeklinieren. Gleichzeitig haben wir unsere Produktlinienanalyse weiterentwickeln können. Sie war bis dahin weder von den Unternehmen noch in der Wissenschaft richtig angenommen worden. In der internationalen Literatur wurde der Begriffe Produktlinienanalyse im Gegensatz zur Ökobilanz (Life Cycle Assessment) gar nicht übersetzt, sondern mit dem deutschen Begriff wiedergegeben. Im Projekt für den Weltkonzern Hoechst konnten wir sie für den internationalen Kontext weiterentwickeln und mit PROSA – Product Sustainability Assessment einen englischen Namen geben. Nicht zuletzt hat die Hoechst-Studie unsere Wahrnehmung  geschärft – also dass wir als kritisches Institut trotzdem oder vielleicht gerade deshalb Unternehmen gut beraten können und lösungsorientiert auf die spezifischen Unternehmensprobleme schauen können.

Den zweiten Teil des Interviews zur Zusammenarbeit mit Unternehmen ab Ende der 1990er Jahren können Sie hier nachlesen.

Prof. Dr. Rainer Grießhammer ist Chemiker, Nachhaltigkeitsexperte und Mitglied der Geschäftsführung am Öko-Institut. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, wie zum Beispiel den Öko-Knigge, der mehr als eine Viertel Million Mal verkauft wurde.
Grießhammer forscht und lehrt zudem als Honorarprofessor für Nachhaltige Produkte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.
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