„Sehr schnell sehr viele alte Kohlekraftwerke abschalten“
Mein aktuelles Herzensthema ist die Abschaltung der Kohlekraftwerke. 2016/2017 haben wir dazu ein Projekt für den WWF gemacht, in dem wir einen neuen Ansatz gewählt haben: Wir haben die vom Weltklimarat IPCC berechnete Menge an CO2, die die Menschheit noch in die Welt pusten darf, ohne das 2-Grad-Ziel zu gefährden, heruntergerechnet auf Deutschland.
Dieses Budget haben wir aufgeteilt auf die verschiedenen Sektoren und abgeleitet, wieviel CO2 dem Stromsektor noch zusteht. Und das ist verdammt wenig: vier Gigatonnen CO2, gerechnet ab 2015. Zum Vergleich: im Jahr 2015 emittierte der deutsche Stromsektor 0,35 Gigatonnen CO2. Wenn es dabei bliebe, hätten wir das erlaubte Budget also schon bis 2026 aufgebraucht.
Wir können es aber schaffen, das CO2-Budget einzuhalten, wenn wir sehr schnell sehr viele alte Kohlekraftwerke abschalten. Wie das geht? Im September 2017 ist Bundestagswahl. Der neue Bundestag setzt direkt eine Kommission ein, die zügig einen Gesetzesvorschlag erarbeitet. Dieser wird schnell verabschiedet, tritt sofort in Kraft und am 1. Januar 2019 schalten wir ungefähr die Hälfte aller Kohlekraftwerke ab. Die sind dann ohnehin schon sehr alt.
Wenn uns das gelingt, würden wir uns damit nach hinten ein bisschen Zeit erkaufen, um den weiteren Übergang zu den Null-Emissionen möglichst sanft zu gestalten, indem wir den kostbaren Rest des CO2-Budgets noch ein bisschen strecken. Je länger wir die alten Kraftwerke laufen lassen, desto knapper wird es am Ende. Und im Übrigen ist das globale CO2-Budget auch zu klein, um zu sagen, man macht Klimaschutz erstmal woanders auf der Welt. Wir hier müssen uns entscheiden, wie wir das verbleibende Budget aufteilen über die Zeit.
Manchmal werde ich gefragt, ob die Arbeit an dem Thema nicht frustrierend ist, weil wir es vielleicht nicht schaffen werden, den globalen Temperaturanstieg auf zwei Grad oder weniger zu begrenzen. Ich muss zugeben, als mir klar wurde, was diese Ergebnisse wirklich bedeuten, hatte ich erstmal zwei Tage schlechte Laune. Aber wir haben es geschafft, mit dieser Studie, mit unserer Arbeit, den Diskurs nochmal zu verschieben. Wir haben die Ergebnisse vorgestellt und die Botschaft ist angekommen – vor zwei Jahren hätte man uns vermutlich noch ausgelacht. Und vor fünf Jahren war allein der Begriff „Kohleausstieg“ schon eine Provokation. Der Diskurs hat sich verschoben, und unsere Arbeit hatte ihren Anteil daran. Wer „ja“ zu Paris sagt, muss auch über Kohleausstieg reden. Natürlich gibt es Machtkämpfe und Widerstand gegen Kohleausstiegs-Szenarien, aber langfristig sind das Rückzugsgefechte.
Wir haben einen Stein mit ins Rollen gebracht, zusammen mit vielen anderen Akteuren wie etwa den Bürgerinitiativen vor Ort, den NGOs, der globalen Klimabewegung – ganz verschiedene Akteure, die ihre Stimme erhoben haben. Das Öko-Institut hat eine eigene Rolle in diesem großen Konzert: sich die Zahlen genau ansehen, die Zusammenhänge verständlich machen, Transparenz in die Debatte zu bringen und plausibel erklären, was es heißt, wenn wir Paris ernst nehmen. Ich wünsche mir, dass das Öko-Institut weiter im Diskurs dabei ist, gefragt wird, etwas dazu beisteuern kann, dass am Ende der Klimaschutz gewinnt.
Charlotte Loreck ist Senior Researcher im Bereich Energie & Klimaschutz
am Standort Berlin.