Die 1970er Jahre: Die streitbaren Wissenschaftsrebellen
27 kritische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Aktivistinnen und Aktivisten rufen am 5. November 1977 auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Baden das Öko-Institut ins Leben. Neben Rechtsanwälten der südbadischen Anti-Atomkraftbewegung zählen Mitglieder der lokalen wie überregionalen Umweltbewegung, Vertreter der evangelischen Kirche sowie Natur- und Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler zu den Gründern.
Die Idee zur Gründung des Öko-Instituts resultiert aus den Erfahrungen des Freiburger Wyhl-Prozesses: Im baden-württembergischen Städtchen Wyhl soll Mitte der 1970er Jahre der Bau eines Kernkraftwerks genehmigt werden. Die Atomkraftgegner sehen sich mit einer „geballten Ladung“ (so DER SPIEGEL, 1977) fachlicher Expertise seitens der Atomkraftbefürworter konfrontiert, die Verwaltung und Industrie beraten. Die Anwälte der Anti-Atomkraft-Bewegung erkennen damals, dass dringend unabhängige wissenschaftliche Beratung und fundierte Gutachten nötig sind, wenn die Umweltbewegung Erfolg haben will.
Gleichzeitig ist den Gründerinnen und Gründern des Öko-Instituts aber auch wichtig, dass sich die Wissenschaft nicht vor der Bevölkerung verschließt. Das ist in den 1970er Jahren bei den Universitäten und Forschungszentren noch oft der Fall. So entsteht die Idee, ein wissenschaftliches Institut zu gründen, bei dem Informationen und Forschungsergebnisse öffentlich zur Verfügung stehen – zur Überprüfung oder für die Erarbeitung von Alternativen. Weiter soll damit auch eine Möglichkeit geschaffen werden, dass sich Menschen, die ein Umweltproblem vor Ort haben, vertrauensvoll an dieses Institut wenden können.
Für die thematische Entwicklung des Instituts ist all das wichtig, was spätestens seit Mitte der 1970er Jahre die Menschen in Umweltfragen bewegt – wie etwa die chemische Umweltverschmutzung, die sich unter anderem an den verschmutzten Flüssen zeigt oder aber die Risiken der Atomkraftwerke, die das Öko-Institut wissenschaftlich belegt und vor allem transparent macht.
In seinen Anfangsjahren liegt das Öko-Institut meist im Streit mit Unternehmen – über gefährliche Chemikalien wie das Holzschutzmittel Pentachlorphenol oder die ozonschichtzerstörenden FCKW, über die Sicherheit von Chemieanlagen oder über die Sinnhaftigkeit von Müllverbrennung ohne engagierte Müllvermeidung. Es wird darauf gedrungen, bessere Standards einzuhalten und gefährliche Stoffe durch Alternativen zu ersetzen.
Wir wissen: Die Forschung von heute entscheidet mit über die künftigen Lebensbedingungen. Wir dürfen diese Forschung nicht länger nur Staat und Industrie überlassen. Wir wollen deshalb selbst Alternativen für die Zukunft erforschen. […] Wir tragen alle Mitverantwortung, ob und wie die Krisen unserer Welt bewältigt werden. […] Wir können nur hoffen, wenn wir selber handeln. Aufgerufen ist jeder Einzelne, gemeinsam mitzuwirken an einer menschenwürdigen Zukunft.
(Auszug aus der Gründungserklärung des Öko-Instituts)
Meilensteine der Arbeit des Öko-Instituts in diesem Jahrzehnt
- Das Öko-Institut beginnt im Frühjahr 1978 mit der inhaltlichen Arbeit: Es liefert juristischen Beistand für die Anti-AKW-Proteste, veranstaltet ein atomkraftkritisches Wissenschaftsseminar, organisiert ein juristisches Seminar sowie die „AG Rechtshilfe Gorleben“ in Zusammenarbeit mit der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg.
- Anfang 1978 erscheint die erste Ausgabe der Mitgliederzeitschrift „Öko-Mitteilungen“. Die Öffentlichkeitsarbeit hat Erfolg: Dank steigender Mitgliederzahlen und -beiträge können erste Wissenschaftler eingestellt werden. Der Institutsaufbau wird aber vor allem durch ehrenamtliches Engagement geleistet.
- Im Februar 1978 wird vom Öko-Institut ein Workshop über ein alternatives Energieprogramm für die Bundesrepublik Deutschland organisiert, unter anderem mit dem US-Wissenschaftler und „Friends of the Earth“-Aktivist und Erneuerbare Energien-Pionier Amory Lovins. Die Idee zur Energiewende-Studie entsteht.
- Günter Altner, Mitbegründer und Kuratoriumsmitglieds des Öko-Instituts und AKW-Gegner der ersten Stunde, wird im Dezember 1978 in die Bundestags-Enquete-Kommission einberufen, in der Experten Vorschläge für die „zukünftige Kernenergie-Politik“ erarbeiten sollen.
- Das Öko-Institut veranstaltet eine wissenschaftliche Konferenz in Hannover über das geplante „Nukleare Entsorgungszentrum“ (NEZ) in Gorleben, mit Erörterung der Gefahren der Wiederaufbereitung und Lagerung von radioaktivem Müll aus AKWs. Zusammen mit der großen Anti-AKW-Demo und dem AKW-Unfall in Harrisburg, trägt das „Gorleben-Hearing“ im Frühjahr 1979 maßgeblich dazu bei, dass die geplante Wiederaufbereitungsanlage in Gorleben nicht umgesetzt wird.
- „Zeit zum Umdenken: Atomphysiker Carl Friedrich von Weizsäcker hatte sich im Juni 1979 in der ZEIT in die Atomdebatte eingemischt. Das Öko-Institut kritisiert in einem Sammelband, der beim rororo-Verlag erscheint, Weizsäckers Pro-Atomenergie-Thesen.
- Nach der „großen Stunde der Gegenexpertise“ beim Wissenschaftler-Hearing über die Wiederaufbearbeitungsanlage im niedersächsischen Gorleben, beschließt das Öko-Institut im Juni 1979, eine Außenstelle in Hannover einzurichten. Dort sollen in enger Zusammenarbeit mit den Bürgerinitiativen die Themen Endlagerung und „Schneller Brüter“ kritisch untersucht werden.
Zum Überblick über die 1980er Jahre am Öko-Institut.
Weitere Teile der Reihe „40 Jahre Öko-Institut“ – Highlights aus der Institutsgeschichte lesen Sie in Kürze hier im Blog.