„Digitalisierung nicht geschehen lassen, sondern diskutieren und aktiv gestalten“
Digitalisierung und Automatisierung sowie der damit verbundene gesellschaftliche Wandel sind ein hochspannendes Thema. Meinen Forschungsschwerpunkt, den Bereich Mobilität, wird das meiner Meinung nach auf verschiedenen Ebenen beeinflussen. Beispielsweise bei der Automatisierung der Produktion: Was bedeutet das für die Arbeitsplätze, wie werden die sich verändern, wird es weniger geben? Das ist in einem Land, in dem die Beschäftigung in vielen Regionen vom Fahrzeugbau abhängt, ein relevantes Thema, wenn wir die Zukunft der Mobilität diskutieren. Eine andere spannende Frage ist, wie Digitalisierung und Vernetzung von Daten unsere Mobilität verändern. Autonomes Fahren wird einen riesigen Effekt haben. Im Idealfall ist Reisezeit in Zukunft nicht mehr nervig und anstrengend, sondern echte Lebenszeit; auch mit der Gefahr, dass wir noch mehr fahren als heute schon. Dazu kommen die neuen Möglichkeiten, verschiedene Mobilitätsformen miteinander zu verknüpfen. Wahrscheinlich wird Mobilität in nicht allzu ferner Zukunft ganz anders aussehen, als viele sich das heute vorstellen können.
Wir stehen also vor einem riesigen Strukturwandel und der Frage, wie man diesen gestalten kann. Damit verbunden ist ein gesellschaftlicher Prozess. Im beruflichen und privaten Umfeld habe ich oft das Gefühl, dass die Gesellschaft das Thema Digitalisierung äußerst unterschiedlich wahrnimmt. Oft sind es die Jüngeren und Enthusiasten, die sehr aufgeschlossen sind und die Chancen für eine veränderte Mobilität darin sehen. Auf Veranstaltungen erlebe ich aber auch oft, wie übergreifende offene Fragen und Risiken – wie beispielsweise die Datenschutzproblematik – in den Vordergrund gerückt und vielen Ideen sofort die Anwendbarkeit abgesprochen werden. Auch um über die auf uns zukommenden Anpassungen nicht reden zu müssen.
Die Entwicklung kommt aber auf uns zu, ob wir wollen oder nicht. Und es wird alle Bereiche betreffen: nicht nur Mobilität, sondern Arbeitsplätze, Sozialsysteme, unser Rechtsverständnis… Damit es uns gelingt, die Auswirkungen der Digitalisierung positiv und nachhaltig auszurichten, müssen wir sie proaktiv gestalten. Ich wünsche mir sehr, dass es uns gelingt, darüber einen breiten gesellschaftlichen Diskurs zu führen und uns aktiv um einen gesellschaftlichen Konsens zu bemühen. Bisher geschieht das eher in kleinen Nischen. Das Problem ist: Wenn man Angst vor etwas hat, tendiert man dazu, es einfach laufen zu lassen und man verpasst die Chance, die Rahmenbedingungen für eine positive Entwicklung zu setzen.
Wir am Öko-Institut haben das Thema teilweise bereits im Blick, aber wahrscheinlich auch noch nicht genug. Die zunehmende Vernetzung ist in allen Bereichen präsent, aber es gibt auch Querschnittsthemen, die alle betreffen: Zum Beispiel eben die Frage, welches Verständnis wir als Gesellschaft von Daten haben und wie wir uns vor Missbrauch schützen, aber beispielsweise auch die der steigenden Anfälligkeit unserer technischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Systeme.
Bezogen auf den Verkehrsbereich glaube ich, dass wir viele Instrumente heute schon haben oder sie bereits diskutiert werden, damit es sich in Richtung einer nachhaltigen Mobilitätswelt entwickeln kann. Sie müssten nur auf die neue Situation angepasst werden. Wichtig wird auf jeden Fall, dass Externalitäten wie CO2– und Luftschadstoffemissionen in die Lenkungsinstrumente wie die Besteuerung von Kraftstoffen einfließen. Das wird auch in einer vernetzten Welt die richtigen Effekte haben.
Das autonome Fahren wird wahrscheinlich dazu führen, dass es am Ende wirklich weniger Fahrzeuge auf den Straßen gibt. Vielleicht sind die Fahrzeuge auch gar keine Autos mehr, sondern ganz andere, sehr spezialisierte Fahrzeuge, die uns je nach Bedarf für den konkreten Weg zur Verfügung stehen: Wenn es Sommer ist, habe ich ein Fahrrad, wenn es regnet, kommt ein kleines, autoähnliches Gefährt zu mir, wenn ich Lust auf ein Gespräch habe, nutze ich ein günstiges busähnliches Fahrzeug und wenn ich nach einem langen Tag im Büro ungestört nach Hause fahren will, ist es ein Auto – verschiedene Optionen, die einfach zu nutzen sind, unterschiedlich viel kosten und den jeweiligen Ansprüchen entsprechen. Damit wäre auch eine sozial gerechte Gestaltung des Mobilitätssystems vorstellbar. Auf alle Fälle darf es nicht zu mehr Verkehr führen, beispielsweise durch Leerfahrten auf dem Weg zu den nächsten Gästen. Mein Wunsch ist, dass uns das gelingt.
Allerdings ist die Regulierung im Verkehrsbereich eine echte Herausforderung für die Politik. Da traut sich kaum jemand ran, die Automobilindustrie als großer Arbeitgeber hat eine starke Position. Ich verstehe, dass sich unter diesem Umstände alle sehr sicher sein wollen, bevor sie das Thema angehen und auf Veränderungen drängen. Aber so werden Entwicklungen verzögert, Rahmenbedingungen spät angepasst und der Transformationsprozess immer schwieriger. Und wenn andere im richtigen Moment auf die neuen Möglichkeiten setzen, ist der Effekt auf die Arbeitsplätze vielleicht noch größer, weil man den Anschluss an den Wandel verpasst hat.
Peter Kasten arbeitet vom Standort Berlin aus als Senior Researcher mit dem Forschungsschwerpunkt Nachhaltige Mobilität.