„Ein nachhaltig und ökologisch ausgerichtetes Leben wird es ohne eine gerechte und friedliche Gesellschaft nicht geben“
Für mich ist Nachhaltigkeit ein Begriff, der mehr umfasst als klassischen Umweltschutz. Ich bin der Überzeugung, dass es ein nachhaltig und ökologisch ausgerichtetes Leben ohne eine gerechte und friedliche Gesellschaft nicht geben wird. Deshalb versuche ich mit meiner Arbeit für das Öko-Institut auch das Thema naturwissenschaftliche Friedensforschung stärker zu besetzen. Dahinter steckt die Idee, dass auch mit naturwissenschaftlichen Methoden Friedensforschung betrieben werden kann, genauso wie naturwissenschaftliche Erkenntnisse für Waffenentwicklungen und Kriegsführung benutzt wurden und werden.
In den vergangenen zwei Jahren haben wir erste Projekte in diesem Kontext umsetzen können. Dabei ging es etwa um die Frage, anhand welcher Indikatoren man herausfinden kann, ob, wann und wo Kernwaffentests stattgefunden haben. Denn nur wenn man nachweisen kann, dass es sich wirklich um eine Kernexplosion gehandelt hat – die nach dem Inkrafttreten des Kernwaffenteststopp-Vertrages (CTBT) verboten sein wird – und nicht um eine Emission aus einem zivilen Kernkraftwerk, kann die Staatengemeinschaft entsprechend agieren.
Dabei gibt es mehrere Optionen: Zum einen lösen Kernexplosionen eine bestimmte Art von Erdbeben aus, die mit Hilfe von seismischen und hydroakkustischen Detektoren, auf die beispielsweise auch Tsunami-Warnzentren zugreifen, identifiziert werden können. Hierfür ist natürlich notwendig, die spezifischen Kennzeichen dieser Art von Beben zu erkennen und von anderen Erdbeben zu unterscheiden, die nicht durch Kernexplosionen ausgelöst wurden. Wir haben uns mit einer weiteren Methode befasst: dem Aufspüren von Xenon, einem Spaltprodukt, das bei Kernwaffentests in die Umwelt gelangt. Allerdings kann das Edelgas in kleinen Mengen auch aus zivilen Kernkraftwerken austreten. Wir haben mit Hilfe von Simulationen untersucht, wie sich Xenon aus zivilen Kernkraftwerken von der spezifische Xenonsignatur von Atomwaffentests unterscheidet – ein weiteres Entscheidungswerkzeug, das die Organisation über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBTO) nutzt.
Ein weiteres Feld wäre die Frage, wie man Kernwaffen überhaupt abrüsten kann. Mein Traum wäre ein bilaterales Projekt zwischen dem Kernwaffenstaat Frankreich und dem Nichtkernwaffenstaat Deutschland, um zu untersuchen wie eine mögliche Abrüstung französischer Kernwaffen verifiziert werden könnte. Jenseits der hochkomplexen technischen Fragen sind dabei auch Aspekte der Geheimhaltung wichtig. Denn das Wissen über die Waffen darf nicht verbreitet werden, während gleichzeitig der Auseinanderbau der Waffe und die Vernichtung des Spaltmaterials lückenlos verifiziert werden sollte. Aus den Erfahrungen könnte man viel lernen für die weitere Abrüstung weltweit.
Wichtig wären auch Fragen, wie man angesichts der Verwundbarkeit kerntechnischer Anlagen und den hiermit verbundenen Risiken mit der zivilen Kernenergie in Krisenregionen umgeht. Die Nutzung von Kernenergie bedarf einer umfangreichen institutionellen und materiellen Infrastruktur auf Basis stabiler Verhältnisse. Zwischenstaatliche oder innerstaatliche Konflikte können dem gegenüber gewollt oder durch Unfall zu einer atomaren Katastrophe führen – weil die Energieversorgung in militärischen Konflikten ein strategisch relevantes Angriffsziel ist, wegen der erhöhten Unfallrisiken, aufgrund der Gefährdungen durch Kollateralschäden, aber auch wegen der Erosion der Sicherheitskultur und der institutionellen Kontrolle in Krisenregionen.
Abrüstung, Überwachung von internationalen Verträgen, Inspektionen. Das ist ein großes Gebiet. Leider denkt die Politik in kürzeren Zyklen und tut sich schwer mit der langfristigen Perspektive dieser Arbeit und einer stabilen Finanzierung, die es erlaubt, kontinuierlich an solchen Themen zu arbeiten. Dennoch wünsche ich mir, dass wir mehr Projekte dieser Art hier im Öko-Institut machen können und dass mögliche Auftraggeber diese Fragen nicht mehr nur „interessant und hochwichtig“ finden, sondern auch in die Antworten investieren.
Dr. Matthias Englert ist Senior Researcher im Institutsbereich Nukleartechnik und Anlagensicherheit am Standort Darmstadt. Er forscht verstärkt an Themen zur naturwissenschaftlichen Friedensforschung.