„Ambitionierte Netzwerke fördern und pflegen“
Ich wünsche mir, dass es uns auch heute in unserer schnelleren, unverbindlicheren und komplexeren Zeit gelingt, Netzwerke zu etablieren, die unabhängig von kurzfristigem gegenseitigen Vorteil dauerhaft funktionieren und tragen, und die dabei vor allem die jüngeren, neueren Kolleginnen und Kollegen miteinbeziehen – und offen sind für Interessenten von „außen“.
Als junge Wissenschaftlerin hatte ich das Glück, dass ich im Umfeld des Öko-Instituts in eine interessante wissenschaftliche und zivilgesellschaftliche Community reinwachsen durfte, die von herausragenden Persönlichkeiten, wie Günter Altner, Hermann Graf Hatzfeldt, Vandana Shiva, Marianne Ginsburg oder Hartmut Bossel getragen wurde – um nur wenige Beispiele zu nennen. Das Öko-Institut hatte die Vision, eine Wissenschaft für Bürgerinnen und Bürger zu realisieren, jenseits der etablierten wissenschaftlichen Kontexte – und das Netz, das da aufgebaut wurde, basierte vor allem auf persönlichem Engagement und Vertrauen. Und so wurde der wissenschaftliche Nachwuchs auf- und mitgenommen: ganz unabhängig von seiner bisherigen Leistung oder fachlichen Reputation, sondern getragen von der Leidenschaft und dem Engagement, das wir mitbrachten.
Von diesem Freiraum haben meine damaligen Kolleginnen und Kollegen und ich enorm profitiert. Von den Möglichkeiten, aber auch von den Vorbildern, die wir dort kennenlernten. Ich habe in verschiedene Bereiche inhaltlich reinschnuppern können, thematisch einiges ausprobiert und ganz neue Horizonte kennengelernt – wie z.B. die damals sehr fortschrittliche Energiepolitik in den USA. Wir konnten in einem relativ geschützten Raum etwas entwickeln und ausprobieren – natürlich jenseits von Stundenzetteln und Stellenhöhe. Wir waren Teil eines gesellschaftlichen Experiments, daran erinnere ich mich heute in der Rückschau mit Erstaunen und Dankbarkeit.
Heutzutage gibt es zwar sehr viele Netzwerke, aber diese besondere Qualität – das Mitnehmen und Aufnehmen der Engagierten, unabhängig vom Thema, dem bisher Geleisteten und dem persönlichen Vorteil – sehe ich kaum noch. Netzwerke sind heute vor allem themenspezifisch oder interessengetrieben. Sie helfen, einen Artikel zu publizieren oder einen Projektpartner zu finden. Aber darüber hinaus tragen sie doch eher selten.
Damals beruhten diese Netzwerke auf dem Engagement einzelner – unkonventioneller – Persönlichkeiten. Aber es wurde auch begünstigt durch die Arbeitsweise des Öko-Instituts: Zu Beginn gab es keine festangestellten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern einen Karteikasten mit Namen und Adressen. Einzelne haben Projekte akquiriert und dann gesehen, wie sie diese institutionell organisieren konnten. Dahinter lag immer auch die Idee einer unabhängigen Arbeit, unabhängig vom etablierten wissenschaftlichen Kontext, kritisch gegenüber „Sachzwängen“ und „Wahrheiten“ – gute Wissenschaft eben. In diesem Sinne war das Öko-Institut auch ein Sammelpunkt für kritische Geister, die nicht in der traditionellen „Academia“ enden wollten (oder durften).
Heute ist die Grundstruktur unserer Arbeit – in vielerlei Hinsicht zum Glück – eine andere. Aber für die Etablierten, diejenigen die angekommen sind, ist damit die Notwendigkeit gesunken, Netzwerke über das eigene Themenfeld hinaus aktiv zu pflegen. Hinzu kommt, dass in unserer stetig dichteren Projektwelt dafür immer weniger Platz und Zeit bleibt. Auch wenn es immer noch diejenigen gibt, die diese Netzwerke aktiv und lebendig halten, ist es aus meiner Sicht an der Zeit, sich zu überlegen, wie und wo so etwas zukünftig stattfinden kann. Denn jenseits des thematischen Netzwerks sind ja noch so viele andere Fragen für jeden einzelnen und uns alle immer wieder zu beantworten: Was macht mich als Wissenschaftlerin aus? Wie sichere ich die Qualität meiner Arbeit? Wie finde ich meine Orientierung und Rolle in einem bestimmten wissenschaftlichen Bereich? Und nicht zuletzt: Wie werden die Ergebnisse meiner Arbeit wirksam?
Ich habe auch kein Patentrezept dafür. Ein wichtiger Bestandteil wäre vielleicht ein aktives Alumni-Netzwerk, das über die jetzige Arbeit des Kuratoriums hinausgeht. Auch persönliche Patenschaften könnten ihren Teil dazu beitragen. Ein weiterer Baustein wären noch intensivere Kooperationen mit Hochschulen, wie wir sie bereits in Freiburg und Darmstadt haben – denn da hat sich mittlerweile auch viel verändert. Davon würde insbesondere der wissenschaftliche Nachwuchs profitieren – noch bevor er sich beweisen muss.
Darüber hinaus ist es für mich auch wichtig, die Geschichte der Institution und ihres Umfeldes zu reflektieren. Ein Ansatz dazu war vor einigen Jahren ein Projekt Oral History der Umweltinstitute. Hier wurden über 20 Zeitzeugen zur Entstehung und Entwicklung der Umweltpolitikforschung und -beratung interviewt, um die Entwicklung der wissenschaftsbasierten Umweltpolitikberatung nachzuvollziehen und zu dokumentieren. Diese Idee hat das Institut zum Jubiläum nun wieder aufgegriffen Hier gibt es aus meiner Sicht den Bedarf, das als Prozess weiterzuentwickeln und lebendig zu halten. Sonst ist auch dieses Wissen in fünf Jahren Vergangenheit. Dagegen würde ich mir weitere und stärkere Spuren wünschen – außerhalb und innerhalb des Öko-Instituts.
Dr. Bettina Brohmann ist Forschungskoordinatorin für Transdisziplinäre Nachhaltigkeitswissenschaften am Standort Darmstadt.
Danke für diese sehr gelungene Formulierung zum „Wunsch“ und die reflektierte Darstellung der Historie…bliebe noch zu erwähnen, dass es zum Thema „Energiewende“ ja schon eine Art Gedächtnisspeicher gab („Halbzeit“-Veranstaltung und DVD zur Dokumentation in 2005).
Und das mit den Netzwerken kann ich nur nachhaltig unterstützen 🙂