Prof. Dr. Peter Hennicke
40 Jahre Öko-Institut ist ein großartiger Anlass zum Feiern!
Kein Institut für „Angewandte Ökologie“ hat in Deutschland so viele innovative Köpfe, Ideen und Initiativen hervorgebracht wie das Öko-Institut. Heute ist vieles, was im und um das Öko-Institut vorgedacht wurde Mainstream. Ein Grund zum Stolz , aber auch für Nachdenklichkeit.
Radikal heißt, so belehrt uns Wikipedia, folgendes: „Das Adjektiv „radikal“ ist vom lateinischen radix (Wurzel) abgeleitet und beschreibt das Bestreben, gesellschaftliche und politische Probleme „an der Wurzel“ anzugreifen und von dort aus möglichst umfassend, vollständig und nachhaltig zu lösen.“
Das Gründungsethos und die Arbeiten der 1980er Jahre des Öko-Institut waren im besten Sinne „radikal“. Aber die Randbedingungen haben sich fundamental geändert. Die intellektuelle „Geburt“ der Energiewende (1981), wie auch ihr „Mainstreaming“ durch eine konservative Regierungsmehrheit (2010) zeigen dies exemplarisch.
Aus den sozialen Kämpfen gegen die monströsen Baupläne eines AKW in dem idyllischen badischen Wyhl entstand das Öko-Institut. Eine Konsequenz dieser Gründung war die ebenso radikale, wie kühne Analyse eines alternativen Energiesystems. Damit haben Florentin Krause, Hartmut Bossel und Karl-Friedrich Müller-Reißmann 1981 die prinzipielle Machbarkeit einer „Energiewende. Wachstum und Wohlstand (sic!) ohne Erdöl und Uran“ wissenschaftlich begründet. Das war ein Meilenstein der damals unerwünschten „wissenschaftlichen Politikberatung“!
Die Energie-Wende Studie wurde Grundlage des Pfad 4 der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik“ (1980). Während der von der Energiewirtschaft favorisierte Pfad 1 einen exorbitanten Atomenergieausbau auf 165 Gigawatt (davon 50 Prozent Brüter) und einen Primärenergiezuwachs auf 800 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten bis zum Jahr 2030 für möglich und notwendig hielt, beschrieb der Pfad 4 erstmalig einen Ausstieg aus der Atomenergie und eine Absenkung des Primärenergieverbrauchs auf 310 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten bis 2030. Das entspricht tendenziell dem realen Verlauf (in Gesamtdeutschland) und den heutigen Energiewende-Zielen. Pfad 1 war dagegen Ausdruck einer besessenen Technologiegläubigkeit und Fahrlässigkeit gegenüber den nuklearen Risiken. In anderen Ländern z.B. in Japan erinnert der noch heute vorherrschende politisch-energiewissenschaftliche Streit an diese Geburtsstunde der deutschen Energiewende.
Die Studie des Öko-Instituts war damals ein Novum für die gesamte Energiewissenschaft und eine Provokation für die etablierte Energiewirtschaft zugleich. Folgerichtig wurde Pfad 4 in der Enquete als „extrem“ eingestuft, seine technische Machbarkeit war „äußerst umstritten“ und die „Kosten nicht abschätzbar“ . Einige hielten den Pfad 4 gar für eine Marschanleitung in einen autoritären Kalorienstaat („Ökodiktatur“). Eine darauf aufbauende zweite Studie des Öko-Institut „Die Energiewende ist möglich“ (Hennicke et al. 1985) demonstrierte die prinzipielle gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Machbarkeit und einen möglichen Umbau zu einer vorrangig dezentralen Stromwirtschaft mit maßgeblicher Beteiligung der Kommunen („Rekommunalisierung“). Aber auch dieses Buch formulierte nur die (konkrete) Utopie einer kleinen Minderheit.
Der heftige Streit der wissenschaftlichen Community und die Polemik gegen die Energiewende-Studien des Öko-Instituts mündeten – befeuert durch eine mutige soziale Anti-AKW-Bewegung und als Antwort auf die Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima – in einen breiten Konsens: Unzählige Studien und Szenarien aller relevanten energiewissenschaftlichen Institute haben inzwischen mit enormer Detailschärfe die technische „Machbarkeit“ und prinzipielle wirtschaftliche Attraktivität einer Energiewende bis 2050 nachgewiesen.
Aber die ambitioniertesten 35 Jahre einer „großen gesellschaftlichen Transformation“ (WBGU) liegen noch vor uns. Dekarbonisierung (Verzicht auf alle fossilen Energien und Risikominimierung (Ausstieg aus der Atomenergie) sind zwar prinzipiell akzeptiert. Aber die entscheidende Frage muss nicht nur das Öko-Institut, sondern wir alle beantworten: Welches „Wachstum“ und welcher „Wohlstand“ führt zu einem guten Leben ohne „Öl und Uran“? Und ist all dies mit dem heutigen System kapitalistischer Auswüchse vereinbar?
Dies erfordert für die nächsten 40 Jahre beim Öko-Institut und bei uns allen radikale Antworten. Auch wenn wissenschaftlicher Mut und Radikalität es bei der öffentlichen Auftragsforschung schwer haben: Es ist wieder an der Zeit, dem Mainstream durch wissenschaftliches Agenda-Setting mindestens eine Nasenlänge voraus zu sein!
Das wünsche ich mir vom Öko-Institut! Die notwendigen wissenschaftlichen Kompetenzen hat es heute in noch weit größerem Umfang als zur Zeit seiner Gründung!