„Nicht mehr lamentieren, sondern handeln“
Vor nicht allzu langer Zeit haben sich die deutschen Industrieunternehmen noch strikt geweigert, über ihre Verantwortung für Umwelt- und Sozialauswirkungen in Rohstofflieferketten auch nur zu reden. Die Bedingungen des Rohstoffabbaus lägen fern ihres Einflussbereichs und die deutsche Industrie betreibe ja selbst gar keinen Bergbau, hieß es zu Beginn meiner Zeit am Öko-Institut, vor mittlerweile mehr als zehn Jahren.
Dass die deutsche Industrie dennoch gewaltige Mengen an Rohstoffen benötigt, die tagtäglich aus aller Welt importiert werden müssen war kein Thema das man in Industriekreisen besprechen wollte – es gab keine Ansprechpartner, keine zuständigen Abteilungen und kein Interesse. Obwohl man schon damals wusste, dass die Rohstoffgewinnung in vielen Regionen extreme Folgen für Menschen und Umwelt hat und z.T. sogar eng mit bewaffneten Konflikten verwoben ist.
Mittlerweile sind wir einen wichtigen Schritt weiter. Die Industrie diskutiert über ihre Verantwortung für Produktions- und Rohstofflieferketten, auch wenn diese weit verzweigt, global und schwer durchschaubar sind. Ein wichtiger Faktor dafür war der US Dodd-Frank Act von 2010. Der diente zwar in erster Linie der Reform des US-Finanzmarktrechts, beinhaltete aber auch Offenlegungs- und Berichtspflichten bezüglich bestimmter Rohstoffe. Auf einmal waren Unternehmen verpflichtet, etwas zu tun. Das hat einen Denkprozess in Gang gesetzt und Strukturen geschaffen.
Heute wird die Verantwortung nicht mehr geleugnet, dafür wird viel darüber geklagt, wie schwierig das Thema sei. Vom Leugnen zum Lamentieren. Im nächsten Schritt muss es selbstverständlich werden, wirksame Maßnahmen zu ergreifen. Selbst wenn Unternehmen ihre Wertschöpfungsketten nicht voll kontrollieren können, profitieren Unternehmen von niedrigen Rohstoffpreisen, die oft nur möglich sind, weil vor Ort kaum wirksame Standards umgesetzt werden. Dabei sollte eine umweltgerechte und menschenrechtskonforme Rohstoffgewinnung eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.
Mein Wunsch für die kommenden Jahre ist, dass die Industrie ihren Einfluss positiv nutzt. Dass Unternehmen und Branchen, dort, wo sie Großkunden sind, nicht mehr fragen, wie man den Preis drücken kann, sondern sich für eine verbesserte, nachhaltigere Rohstoffgewinnung einsetzen.
Leider ist das Thema oft nicht attraktiv für die Unternehmen. Denn man kann sich schließlich nicht mit Selbstverständlichkeiten wie „wir nutzen nur Rohstoffe ohne Menschenrechtsverletzungen“ rühmen. Eine Motivation liegt aber in der Mitarbeiterschaft: Ihnen muss man zeigen, dass sie für einen anständigen Betrieb, eine anständige Marke arbeiten.
Aber auch jenseits der Wirtschaft gibt es Ansatzpunkte: Für langfristige Veränderungen wäre eine stärkere Umweltzivilgesellschaft in den Entwicklungs- und Schwellenländern notwendig. Auch vor Ort muss jemand diesen Themen Priorität einräumen, auch vor Ort braucht es eine kritische Öffentlichkeit. Diese zu stärken und zu vernetzen ist aus meiner Sicht notwendig und wichtig. Auch müssen wir uns verstärkt mit den Akteuren vor Ort auseinandersetzen. Warum gibt es Kinderarbeit? Warum werden Chemikalien verklappt und nicht im Kreislauf geführt? Denn das geschieht meist aus ökonomischen Gründen, nicht weil die Menschen ihre Kinder oder die Umwelt bewusst schädigen wollen. Diese Hintergründe müssen wir verstehen, um etwas ändern zu können.
Meine Hoffnung ist, dass wir in fünf Jahren so weit sind und sich das veränderte Denken und Handeln auch in den Bedingungen vor Ort niederschlägt – und nicht nur in Ankündigungen und Hochglanzbroschüren.
Andreas Manhart ist Senior Researcher im Institutsbereich
Produkte & Stoffströme am Standort Freiburg.